(Stand 10.05.2011)
In Berlin haben sich in den letzten Jahren viele nichtkommerzielle Projekträume und -initiativen angesiedelt. Sie sind ein wichtiger Teil der kulturellen Infrastruktur dieser Stadt. Zumeist von Künster/innen selbst betrieben, bereiten sie den Nährboden, auf dem eine vitale und kritische Kunstszene reift, sich ausprobiert und innovative Organisationsformen und Arbeitsweisen entwickelt. Projekträume und -initiativen bieten Freiräume für eine, sich abseits vom Kunstmarkt etablierende, künstlerische Praxis. Damit tragen sie entscheidend dazu bei, dass Berlin als Stadt der Gegenwartskunst international so attraktiv ist.
Nicht nur die noch günstigen Lebensbedingungen, verbunden mit bezahlbaren Räumen, bedingen die besondere Anziehungskraft Berlins. Auch die Vielfalt und Vitalität des kulturellen Lebens bestimmen die kulturelle Ausstrahlung dieser Stadt. Die zahlreichen Projekträume und -initiativen bilden hier einen wichtigen Kompetenzbereich, der zum Image Berlins als international bedeutendem Kulturstandort beiträgt.
Viele Projekträume und -initiativen befinden sich in einer äußerst prekären Lage: Die Mieten verteuern sich zunehmend, kulturelle Freiräume schwinden. Günstige Räumlichkeiten, vor allem in der Innenstadt, sind nicht mehr zu haben. Bezahlte Arbeitsstellen gibt es in der Regel kaum, die existierenden ÖBS-Stellen sind konkret gefährdet. Nunmehr besteht die reale Gefahr der Abwanderung von Kulturschaffenden und der Verdrängung nicht-kommerzieller, unabhängiger Projekte.
Gerade jetzt sind die Vertreter/innen der Verwaltung und die politischen Entscheidungsträger/innen zum Eingreifen aufgefordert, um der gegenwärtigen Entwicklung entgegenzuwirken. Die bestehende Kultur- und Förderpolitik des Landes Berlin wird der Bedeutung von Projekträumen und -initiativen nicht gerecht. Es fehlt eine auf die Dynamik selbstorganisierter Projekträume und -initiativen abgestimmte öffentliche Förderstruktur.
CHARAKTERISIERUNG DER PROJEKTRÄUME UND -INITIATIVEN
Projekträume und -initiativen bieten Raum für eine künstlerische Praxis, die mehr prozess- als produktorientiert ist, einen kollaborativen und/oder partizipativen Ansatz verfolgt, die dialogische und/oder diskursive Formate einsetzt. Diese künstlerische Praxis zeichnet sich durch ihre besondere Kontextbezogenheit aus: Der Austausch über gesellschaftlich relevante Themen steht im Vordergrund, künstlerische Arbeitsprozesse werden erfahrbar und ihre Produktionsbedingungen werden mit reflektiert.
Aus dieser Praxis, so vielfältig sie sich darstellt, entstehen komplexe Werkformen. Projekte folgen nicht mehr dem üblichen Ablauf bestimmter Projektphasen und deren Präsentationsformen können gängige Ausstellungsformate sprengen. Die strikte Trennung zwischen Produktion/Arbeitsprozess und Präsentation wird aufgehoben, Methoden und Verfahren aus anderen Disziplinen und Sparten werden mit einbezogen. Längere und gewichtigere Vorlaufphasen für das Konzipieren von Projekten sind zum Teil nötig.
Die Arbeitsweise von Projekträumen und -initiativen kommt dieser künstlerischen Praxis entgegen. In ihrer Art der Selbstorganisation können sie flexibel und spontan reagieren. Die kollaborative, informelle Dynamik, die den Projekträumen und -initiativen eigen ist, stellt Nähe zwischen den Raumbetreibern, Initiator/innen, den Künstler/innen, den Kurator/innen, den Mitorganisator/innen, den Beteiligten und den Besucher/innen her. Oft genug ist eine Vielzahl von Menschen aus dem Umfeld des Projektraumes und der Initiative aktiv und übernimmt Aufgaben. Rollen wechseln: Künstler/innen sind Kurator/innen, sind Aufbauhelfer/innen, sind Publizist/innen, sind Projektmanager/innen, sind Kunstvermittler/innen, sind Beteiligte. Viele Projekträume und -initiativen profitieren von den 2008 initiierten ÖBS-Stellen, die oftmals die einzige regulär finanzierte Kraft in diesen Projekten sind.
Projekträume und -initiativen bieten intime Formen der Kommunikation und der Aktion. Dadurch verringern sie die Distanz zu ihren Besucher/innen. Sie sprechen nicht nur das prononciert kunst- und kulturinteressierte Publikum an, sondern geben Impulse an andere Bevölkerungsgruppen. Der intensive Kontakt zu anderen Disziplinen und Sparten (z. B. Theoretiker/innen, Designer/innen, Stadtentwickler/innen, Aktivist/innen) wird vielerorts gepflegt. Über Ausstellungen hinaus und zum Teil unabhängig davon werden Präsentationen, Talks, Kurse, Workshops, Symposien, Fachtagungen und Vorträge organisiert.
Projekträume und -initiativen vertiefen das Verständnis für Arbeitsprozesse der Kulturproduktion und fördern intensive Kooperationen. Sie helfen innovatives Potenzial zu entdecken, fördern junge, nicht etablierte Künstler/innen, und auch jene, die sich bewusst abseits des gängigen Kunstbetriebs positionieren. Projekträume und -initiativen tragen damit zur Erhaltung der Vielfalt künstlerischer Praxis bei. Projekträume und -initiativen fördern – bei gleichzeitigem Hinterfragen ihrer eigenen Produktionsweise – die Auseinandersetzung mit und die kritische Betrachtung von Formaten.
Das Experimentieren mit Präsentationsformen sowie die Offenlegung von Produktionsbedingungen üben auf den Kunstbetrieb Einfluss aus. So finden sich integrale Bestandteile der Praxis selbstorganisierter Projekträume und -initiativen inzwischen auch dort. Themen wie z. B. Selbstorganisation und Bildung, Kunst und Aktivismus, Kunst und Wirtschaft finden in jüngster Zeit Eingang in die etablierten Diskurse. Sichtbar ist dies sowohl in Postgraduiertenprogrammen als auch in Biennalen oder im Beiprogramm von Kunstmessen. Oft dienen dabei die aus der Praxis der Projekträume entlehnten Elemente als der Teil, der die gängige Präsentation interessant machen soll. Auch graduelle Verschiebungen von Präsentationsformaten wie dem Changieren zwischen Ausstellung und Archiv oder zwischen Vortrag und Performance setzen sich als gängige Formate durch.
In ihren Funktionen als Labore, als Experimentierräume, als Orte kritischen Austauschs und der Erprobung neuer Formate sind Projekträume und- initiativen angemessen zu fördern.
WELCHE VERÄNDERUNGEN IN DER FÖRDERPOLITIK HALTEN WIR FÜR NOTWENDIG?
Eine angemessene Förderstruktur erfordert mehr Flexibilität in der Antragstellung, die Berücksichtigung anderer Förderkriterien und zusätzlicher Programme, die über die Projektförderung hinausgehen. Projekträume und -initiativen brauchen einen eigenen Fördertopf. Das Fördervolumen in diesem Bereich insgesamt muss dringend erhöht werden.
Es widerspricht der Logik und Arbeitsweise selbstorganisierter Räume, sich in ihrem Programm auf Jahre im Voraus festzulegen, was angesichts der Antragsfristen (z.B. des Hauptstadtkulturfonds) jedoch eine Grundvoraussetzung für öffentliche Förderungen ist. Im Vergleich zu etablierteren, größeren Institutionen fehlt es den unabhängigen Projekträumen und -initiativen außerdem zumeist an Ressourcen, wie bezahlten Arbeitskräften und finanzierten Rechercheperioden, um Konzepte für die Anträge zu erarbeiten. Es bewerben sich trotz des hohen Aufwandes und des langen Vorlaufs immer wieder auch Projekträume auf Förderung durch den HKF, die Vergabepraxis zeigt jedoch, dass große Institutionen viel häufiger und mit viel größeren Beträgen gefördert werden.
Der Projektförderungstopf des Senats hat einen so begrenzten Umfang, dass er mit Anträgen auf Einzelförderung von Künstler/innen bereits völlig überlastet ist.
In beiden Programmen ist generell keine strukturelle Förderung möglich.
Wir schlagen daher vor, im Dialog mit der Kulturverwaltung und den politischen Entscheidungsträgern neue Förderleitlinien und Förderprogramme zu entwickeln, die den Bedürfnissen der dargestellten künstlerischen Praxis und der Arbeitsweise der Projekträume und -initiativen entsprechen. Folgende Aspekte müssen dabei gleichwertig berücksichtigt werden:
Um selbstorganisierten Projekträumen Planungssicherheit zu ermöglichen, braucht es:
– die Einrichtung einer mehrjährigen Basisförderung (vgl. Theaterbereich), die die Aufwendungen (unabhängig von Projektkosten) und Betriebskosten des/der Projekträume
und -initiativen abdeckt;
– ein erweitertes Produktionsverständnis, das auch Produktionsphasen wie Konzeption,
Programmentwicklung, Vor- und Nachbereitung von Projekten und Produktionen mit einbezieht und diese angemessen entlohnt;
– angemessene Honorare für Künstler/innen, Kurator/innen und andere Projektbeteiligte.
– Sicherung bzw. Schaffung kostengünstiger (Produktions)räume (u. a. durch Veränderung der Liegenschaftpolitik)
– Fortführung der ÖBS-Stellen im Kulturbereich
Entsprechend der Produktionsweise selbstorganisierter Projekträume bedarf es:
– kürzerer Antragsfristen;
– der Möglichkeit, zeitnah und unbürokratisch geringe Fördersummen abzurufen
(vgl. früheren Feuerwehrtopf des Kulturamts Mitte);
– des flexibleren Umgangs mit Kostenstellen innerhalb eines bewilligten Budgets;
– der Wiedereinführung einer Kostenstelle für Unvorhergesehenes;
– der Berücksichtigung transdisziplinärer und übergreifender Projektansätze, deren Formate
sich nicht eindeutig einer Sparte zuordnen lassen.
Verfasst vom Berliner Netzwerk freier Projekträume und -initiativen im Mai 2011
Download:
Positionspapier_Netzwerk Politik[Stand 10.05.2011]